17. Auf was hast du Lust? Ich brauche nicht lange. Was zieht man denn an für den Strand? Shirt und Short. Fertig. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich hätte mich selbst in den letzten vierundzwanzig Stunden wieder gefunden. Auch wenn ich noch immer auf jede Veränderung nur zögernd reagieren kann, es tut mir einfach gut wieder unter Menschen zu kommen. Zu lange habe ich mich regelrecht eingeigelt. Und sich mit seinem Chef und dessen Frau zu verstehen, kann trotzdem nicht die Erfüllung eines Lebens sein.
Ich sehe mich im Spiegel an. Ja, ich bin bereit. Ich will MEIN Leben zurück.
Ich lächle mich selbst an. Ich will wieder ich selbst sein. Wie ich vorher war. Vor Emilio. Dieses ganze Versteckspiel. Ich habe es so satt. Der Zweifel an jedem Menschen. Das ewige Misstrauen. Ich will einfach nicht mehr. Nicht mehr so leben.
Ich will wieder mehr.
Und ich glaube, ich mache gerade die ersten Schritte in die richtige Richtung. Und ich bin glücklich damit.
Schnell greife ich nach Jackies Shirt und meiner Handtasche, dann laufe ich nach unten zu Alex. Der steht vor dem Auto und wartet.
"Du bist schon da?" sieht er mich verwundert an.
"Ja, wieso?" Was ist das denn für eine Frage?
"Normalerweise braucht ihr Frauen doch Ewigkeiten, um euch fertig zu machen", kommt von ihm.
"Ihr Frauen?" wiederhole ich empört. "Aber sonst geht´s dir noch, oder?"
Alex streckt seine Hand aus und berührt mein Haar. "Das ist noch nass", stellt er dann fest.
"Ja, und?" Was soll das? "Es ist Sommer. Wir haben jetzt schon mindestens dreißig Grad im Schatten. Meinst du nicht, das trocknet so?" Ich gehe weiter zur Beifahrerseite und sehe ihn an. "Nimmst du mich jetzt mit oder soll ich mir doch ein Taxi rufen?"
"Steig ein", brummt Alex ziemlich verwirrt.
Ja, ich kann ihn schon verstehen. Ich bin ja selber verwirrt. Über mich. Aber ich mag mein neues Ich. Denn es erinnert mich an mein altes.
"Wir müssen das Essen mitbringen", sagt Alex, als er auf eine Schnellstraße fährt.
"Häh?" sehe ich ihn an.
"Na, Jackie hat mir gesagt, ich muss Frühstück mitbringen", sieht er mich kurz an. "Kaffee macht sie."
Ich muss lachen. "Na, dann holen wir eben was."
"Was willst du?" fragt er mich.
"Keine Ahnung", zucke ich mit den Schultern. "Ist mir egal. Auf was hast du Lust?"
Alex wirft mir einen zweideutigen Blick zu. Schnell sehe ich auf meine Füße. Das war wohl ziemlich daneben. Aber wieso muss er das auch falsch verstehen?
"Da vorn gibt´s ziemlich gutes Frühstück", deutet er auf eine Seitenstraße und fährt auch schon darauf zu.
Wenig später stehen wir auch schon am Tresen und Alex bestellt irgendwie von allem etwas.
"Wer soll das denn essen?" frage ich erschrocken.
"Naja, Mike ist da", zuckt Alex mit den Schultern und greift nach zwei der drei Tüten. Die dritte nehme ich. "Und Jackie verputzt auch so einiges."
Er wird schon wissen, was er tut.
"Hey!" Jackie kommt uns freudestrahlend entgegen gelaufen, kaum dass ich ausgestiegen bin. Sie umarmt mich. "Wie war die Nacht mit meinem Bruder?" fragt sie ganz leise in mein Ohr und grinst mich an.
"Ich kann mich nicht erinnern", antworte ich ihr und muss über ihr verdutztes Gesicht lachen.
"Jackie, fass einfach mal mit an", brummt Alex, der nun ebenfalls ausgestiegen ist. "Du kannst eure Frauengespräche nachher auch noch führen. Ich brauch nen Kaffee."
"Boah, du bist so ein Morgenmuffel", keift Jackie zurück.
Ich sehe zu Alex. Morgenmuffel? Davon habe ich bis jetzt noch nichts bemerkt.
"Ich geh erstmal duschen", verschwindet Alex sofort, nachdem wir das Haus betreten haben.
"Komm mit nach draußen, wir haben auf der Terrasse gedeckt", deutet Jackie mir ihr zu folgen.
"Morgen", sieht Mike mir entgegen und nimmt Jackie die Tüten ab. Ich stelle meine auf einem Stuhl ab. Und sehe mich um.
Wow! Es ist ja unglaublich hier. Man kann wirklich so nah am Meer wohnen?
"Toll, oder?" Jackie steht neben mir. "Ich komme gern zu Besuch. Hier ist es total ruhig."
"Es ist wunderschön", sage ich überwältigt. Man kann die Ewigkeit hier fast körperlich spüren. Das Meer. Der Horizont. Der weiße Sand.
"Mike, deckst du den Tisch?" ruft Jackie ihm zu. Dann zieht sie ihre Schuhe aus. "Komm mit!" fordert sie mich auf. Und ich lasse mich nicht zweimal bitten. Ich lasse meine Schuhe stehen und folge ihr. Spüre den Sand unter meinen Füßen.
Und dann stehen wir am Meer. Leicht umschmeichelt das Wasser unsere Zehen.
"Hier kann man leben, oder?" sieht Jackie mich an.
Ich nicke nur. Bin gerade nicht fähig irgendetwas zu sagen.
"Wieso ist Alex die Nacht bei dir geblieben?" will Jackie nun wissen.
"Die Cocktails haben wohl ihre Wirkung erst völlig entfaltet, als ich bei mir zu Hause war", antworte ich ihr.
"Und ihr beide...?" Sie beendet ihren Satz nicht.
"Da ist nichts passiert", sage ich sofort. "Alex meinte, er sei nur geblieben, weil es mir nicht gut ging."
"Ja, mein Bruder ist schon ein Samariter", grinst Jackie. Und dann genießen wir einfach die Stimmung. Das Rauschen der Wellen.
"Hey, Frühstück!" ruft Alex plötzlich.
Wir drehen uns um und gehen zurück. Jackie setzt sich neben Mike, so dass mir nur der Platz neben Alex bleibt.
"Und wie war eure Nacht?" fragt Alex seine Schwester.
Verlegen sehe ich auf meinen Teller. Wow. Die zwei haben scheinbar kein Schamgefühl.
"Heiß", antwortet Jackie. Als ich sie ansehe, müssen wir beide grinsen. Wahrscheinlich ist hier genauso viel passiert wie bei uns.
"Was habt ihr für heute noch geplant?" will Alex dann von Mike wissen.
"Ich bleib hier und schmeiß mich in die Sonne", antwortet jedoch Jackie.
"Gute Idee nach der langen Nacht", nickt Mike.
"Von mir aus", sagt Alex. "Ich wollte zwar in die Berge, aber das kann ich morgen auch noch."
"Du weißt, dass ich mitkomme", sagt Jackie.
"Ja, und ich auch", stimmt Mike sofort zu.
Dann sehen mich drei Augenpaare an.
"Hast du auch Lust mit zum Klettern zu kommen?" fragt Jackie mich dann. "Wir fahren morgen Früh los und bleiben dann eine Nacht oben."
Doch ich schüttle mit dem Kopf. Morgen ist Sonntag. Und am Montag muss ich wieder arbeiten.
"Ich muss arbeiten", antworte ich. Ich habe nur heute frei.
"Kannst du nicht Urlaub machen?" fragt Jackie enttäuscht.
"Mein Chef ist zur Zeit allein im Café", antworte ich. "Ich kann ihn nicht allein lassen."
"Du könntest doch wenigstens fragen", schlägt Jackie vor.
"Vielleicht ein anderes Mal", sage ich zu ihr.
"Nächste Woche?" hakt sie sofort nach.
"Da habe ich nur am Donnerstag und Freitag frei", überlege ich.
"Passt doch", sagt Jackie sofort. "Oder, Männer?" Sie sieht ihren Bruder fragend an.
"Wenn das Wetter mitspielt, können wir am Mittwoch nochmal raus fahren", nickt Alex.
"Also ist es abgemacht", freut sich Jackie.
"Okay", nicke ich nach einer kleinen Weile.
Dann essen wir alle. Ich höre allen zu, was sie sich über die vergangene Bergtour erzählen haben. Klettern war ich noch nie. Jedenfalls noch nie auf einem richtigen Berg. Ist sicher aufregend.
Plötzlich spüre ich, wie Alex mich antippt.
"Was ist denn?" frage ich. War ich schon wieder in Gedanken und habe nicht aufgepasst?
"Wer ist eigentlich Emilio?" will er wissen.
Was? Woher kennt er seinen Namen? Ich spüre nur noch, wie mir mein Brötchen aus der Hand fällt.
18. Unter Freundinnen Ich sehe Jackie an. „Wo ist das Badezimmer?“
„Die erste Tür auf der rechten Seite“, antwortet sie mir.
Ich stehe auf und gehe nach innen. Die Tür vom Badezimmer fällt hinter mir ins Schloss. Und erst jetzt erlaube ich mir zu denken.
Wieso kennt Alex seinen Namen? Wieso weiß er von Emilio?
Ich spüre wie es mich würgt. Glücklicherweise habe ich ja noch nichts gegessen. Oder getrunken. Meine Hände zittern – und mein Körper auch. Mir ist eiskalt. Es fühlt sich an, als würde seine eiskalte Hand nach meinem Herzen greifen, es fest umschließen und nicht mehr loslassen. Ich kann kaum atmen. Und wünsche mir, dass es endlich vorbei wäre.
„Kate?“ Jackie klopft an die Tür. „Ist alles okay?“
Nein, ich kann nicht atmen! Bin wie erstarrt. Und meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich schnappe kurz nach Luft, dann erzittere ich noch einmal. Ob Emilio weiß, dass ich hier bin? Ist das vielleicht eine Falle?
„Kate!“ Ich höre die Sorge in Jackies Stimme. Aber ich kann nichts tun.
Ich sehe, wie die Türklinke nach unten gedrückt wird und sich die Tür schließlich öffnet. Habe ich vergessen abzuschließen?
Ich presse meinen Rücken noch dichter an die Wand. Wird es nur Jackie sein, die ins Zimmer kommt?
„Oh Gott, Kate, du bist ja käseweiß!“ ruft Jackie erschrocken aus. „Was ist denn los?“ Sie schließt die Tür hinter sich. „Wer ist denn Emilio? Alex hat gesagt, du hast seinen Namen oft im Schlaf gesagt.“
Na super. Ich rede also im Schlaf. Gut zu wissen. Denn ich werde meine Nächte von nun an wieder allein verbringen.
Wie in Zeitlupe lasse ich mich an der Wand entlang nach unten sinken. Allein der Gedanke an Emilio lässt meine Knie nachgeben.
Jackie setzt sich neben mich.
„Ist das dein Ex?“ will sie leise wissen.
Ich nicke. „So was in der Art, ja“, antworte ich ebenso leise. Mehr Stimme habe ich auch nicht.
„Was hat er dir angetan?“ hakt Jackie nach. „Ich meine, wenn du schon so ausflippst, wenn du nur seinen Namen hörst...“
Ich sehe Jackie an.
Und dann platzt es aus mir heraus. Alles. Ich habe noch nie während der ganzen Zeit auch nur irgendjemandem nur ansatzweise davon erzählt.
Doch jetzt tue ich es. Erst nur bruchstückhaft. Und durcheinander. Doch irgendwann ist der rote Faden da. Und Jackie hört mir die ganze Zeit aufmerksam zu. Ich erzähle ihr von Emilio. Von der Zeit, als ich ihn kennengelernt habe. Als ich verliebt in ihn war. Und was danach passiert ist. Jackie greift irgendwann nach meiner zitternden Hand und hält mich fest. Es tut einfach gut zu wissen, dass jemand da ist.
Ich erzähle ihr von Christian. Und von meiner Flucht. Und ich kann nicht verhindern, dass dicke Tränen über meine Wangen laufen. Und schließlich beende ich meine Erzählung mit dem Satz: „Und nun bin ich hier.“ Mit der anderen Hand wische ich die Tränen fort.
Ich warte auf Jackies Reaktion. Sie starrt schweigend an die gegenüberliegende Wand.
„Wow“, kommt irgendwann von ihr. „Das tut mir alles so leid für dich.“ Sie legt nun ihren Arm um mich. „Jetzt verstehe ich auch, warum du dauernd zusammen zuckst. Und warum du so ängstlich bist...“ Sie bricht ab.
Hat man das also so sehr gemerkt?
Wir sitzen noch eine Weile einfach so da. Nebeneinander. Und sagen gar nichts. Jackie hält mich fest – und ich fühle mich irgendwie erleichtert. Darüber, dass ich mit jemandem geredet habe. Über alles.
Aber war das auch eine gute Idee? Ich hebe den Kopf und suche Jackies Blick.
„Keine Sorge, ich brauche nur eine Weile um das alles in meinem Kopf zu ordnen“, lächelt sie mich beruhigend an. „So schnell wirst du mich nicht los.“
„Danke“, sage ich leise.
„Wofür?“ fragt sie.
„Fürs Zuhören“, antworte ich.
„Dafür sind Freunde doch da“, drückt Jackie noch einmal meine Hand.
Es klopft wieder.
„Wir sind gleich da“, ruft Jackie.
„Okay, denn der Kaffee ist schon kalt“, höre ich Mike rufen.
„Kalter Kaffee macht schön“, ruft Jackie zurück und lächelt mich an.
„Ich bin gleich soweit“, sage ich und stehe auf. Wasche mein Gesicht mit eiskaltem Wasser. Und sehe in den Spiegel. Natürlich sieht man, dass ich geweint habe.
„Darf ich es meinem Bruder erzählen, wenn er Fragen stellt?“ ist Jackie hinter mir aufgestanden.
Naja, besser sie als ich, oder? Das ganze noch einmal erzählen und durchleben?
„Keine Angst, ich erzähle es sonst keinem“, fügt Jackie noch hinzu. „Und auch nicht jetzt gleich.“
„Ist mir egal“, zucke ich mit den Schultern.
„Hey, wir passen schon auf dich auf“, umarmt Jackie mich noch einmal.
Aufpassen.
Als wenn das so einfach wäre. Wenn Emilio mich finden sollte, dann hoffe ich, dass weder Jackie noch Alex in meiner Nähe sein werden. Denn Emilios Wut wird grenzenlos sein.
„Na komm, gehen wir was essen“, sieht Jackie mich aufmunternd an.
„Okay“, nicke ich und folge ihr. Zurück nach draußen. Auf die Terrasse. Wo Mike und Alex sitzen. Und uns fragend entgegen blicken.
Ich sehe, wie Jackie mit dem Kopf schüttelt. Beide Männer widmen sich nun weiter ihrem Essen. Ich höre zu, wie Jackie mit ihnen eine unverfängliche Diskussion übers Klettern und Campen beginnt.
Und beruhige mich innerlich immer mehr. Ich bin nicht mehr allein. Sollte mir etwas passieren, dann weiß wenigstens jemand, wer mir etwas angetan hat. Und allein dieses Wissen tut unheimlich gut.
19. Was immer du willst Jackie und Mike räumen den Tisch nach dem Frühstück ab.
„Hast du was zum Schwimmen drunter?“ fragt sie mich, während sie die Teller zusammenstellt.
„Zum Schwimmen?“ sehe ich sie fragend an.
„Ja, Bikini? Badeanzug?“ Jackie erwidert meinen Blick.
Ich nicke. Natürlich habe ich einen Bikini angezogen. So wie immer, wenn ich an den Strand gehe.
„Gut“, sagt sie und deutet mit dem Kopf auf das Meer. „Ich komm gleich nach.“
Oh. Okay. Ich stehe auf und gehe langsam von der Terrasse auf den Strand zu. Der Sand unter den Füßen fühlt sich gut an. Warm, aber noch angenehm.
Ich gehe hinunter zum Meer und sehe auf das Wasser. Die Wellen erreichen den Strand und umspülen meine Füße. Die Abkühlung tut ganz gut.
„Hey!“ steht Alex plötzlich neben mir.
Ich sehe ihn an. „Hey.“
„Sorry“, sieht er mich zerknirscht an. „Für vorhin. Es geht mich nichts an...“
„Nein, es tut mir leid“, falle ich ihm ins Wort. „Habe ich... habe ich oft seinen Namen gesagt?“
„Ein paar Mal“, nickt Alex und sieht nun ebenfalls auf das Wasser. „Deine Stimme war immer so voller Angst. Ich wollte keine schlimmen Erinnerungen in dir wecken...“
„Das hast du nicht“, sage ich schnell. Zu schnell. „Ich meine, die Erinnerung... sie ist immer da...“
Für einen Moment schweigen wir beide.
„Kate?“ Alex dreht sich zu mir herum und sieht mich an.
„Ja?“ erwidere ich seinen Blick. Seine Augen sind gerade so blau wie das Meer. Kann man eigentlich in Augen ertrinken?
„Wenn irgend etwas ist, ich bin für dich ja“, sagt er leise und sieht mir in die Augen.
„Mmmh“, mache ich.
„Ich meine das Ernst“, sagt er. „Wirklich.“
„Danke“, senke ich meinen Blick. Ich werde garantiert nicht noch einmal jemanden da mit hinein ziehen. Und auf keinen Fall werde ich zulassen, dass Emilio auf Alex trifft. Niemals. Ich weiß, wie Christian geendet hat. Das passiert ganz sicher nicht noch einmal!
„Los, ab ins Wasser!“ läuft Jackie an uns vorbei und wirft sich in die Fluten. Und spritzt ihren Bruder nass.
„Schwesterchen, warte ab!“ ruft er ihr zu und stürzt sich auf sie. Und ihm ist wohl ganz egal, dass er noch völlig angezogen ist.
„Die zwei sind völlig verrückt“, steht nun auf einmal Mike neben mir. Er trägt nur noch seine Badeshorts. Grinst mich an und schwimmt zu Jackie.
Alex taucht seine Schwester noch einmal unter, dann kommt er zurück an den Strand. Ich beobachte ihn, wie er aus den Wellen steigt. Das Shirt klebt klitschnass an ihn und ich kann jeden Muskel darunter erkennen.
Puh! Ist noch jemandem gerade so warm? Unsere Blicke begegnen sich und schnell senke ich meinen Kopf. Ja, meine Wangen färben sich sicher gerade feuerrot. Gott, ist das peinlich!
„Und du?“ bleibt Alex vor mir stehen. Und grinst mich an.
„Und ich?“ sehe ich fragend auf.
Doch ich bekomme keine Antwort. Stattdessen werde ich plötzlich hoch gehoben. Uh, Deja-vú! Von gestern Nacht. Ja, jetzt erinnere ich mich wirklich daran, dass er mich die Treppen hinauf getragen hat. Aber da waren seine Sachen auch noch trocken!
„Lass mich bitte runter“, sehe ich ihn bittend an. Immerhin trage auch ich immer noch Shirt und Shorts über dem Bikini. Aber die werden an einer Seite gerade nass.
„Was bekomme ich denn dafür?“ grinst er mich frech an.
„Was?“ sehe ich ihn erschrocken an. Oh, er macht nur Spaß!
„Was immer du willst“, gehe ich auf sein Geplänkel ein.
„Was immer ich will?“ Alex´ Stimme klingt auf einmal ganz heiser.
Ich versinke in seinen Augen. Und merke gar nicht, dass ich meine Arme um seinen Hals lege. Stumm stehen wir da und sehen uns einfach nur an.
„Was willst du?“ rutscht mir dann heraus.
„Was?“ Alex scheint mitten aus seinen Gedanken gerissen.
„Was willst du dafür, dass du mich trocken wieder auf den Boden stellst?“ will ich noch einmal wissen.
Doch Alex bleibt mir eine Antwort schuldig. Denn Jackie stürzt sich von hinten auf ihn - und wir fallen beide ins Wasser. Lachend wische ich mir die Tropfen von den Augen. Alex ist schon dabei sich an seiner Schwester zu rächen, die sich jedoch clevererweise hinter Mike versteckt.
Ich stehe auf und gehe langsam zur Terrasse zurück. Ziehe meine nassen Sachen aus und hänge sie zum Trocknen über das Geländer. Dann drehe ich mich um - und laufe genau in Alex hinein.
"Sorry", sage ich schnell.
"Nix passiert", sagt er. Dann sieht er mich ernst an. "Steht das Angebot noch?" Und er zieht sein Shirt ebenfalls aus und hängt es neben meins. Dann steigt er aus seiner Hose.
Was für ein Angebot? Wovon redet er eigentlich? Außerdem ist das doch gerade egal. Heiß! Das ist alles, was mir gerade einfällt. Ich hoffe nur, ich fange nicht an zu sabbern!
Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe, während ich Alex beobachte. Und bemerke nicht wirklich, dass er wieder näher kommt.
"Gefällt dir, was du siehst?" bleibt er ganz dicht vor mir stehen.
Ich zucke erschrocken zusammen. Ist das peinlich! Ich habe ihn doch tatsächlich angestarrt.
Aber da ist er ja auch selbst schuld! Wie kann man(n) nur so einen Körper haben? Und dann auch noch oben ohne vor mir herumlaufen? Wie gerne würde ich jetzt mit meinen Händen über seine Bauchmuskeln streichen, über...
Nein! Aufhören zu denken! Jedenfalls so etwas. Das liegt sicher an der Sonne - dass mir so warm ist... denke ich.
"Kate?" Alex sieht mich fragend an.
"Ja?" blicke ich nun in seine Augen. Grün? Ja, sie sind jetzt definitiv grün.
Hat er etwas gesagt?
Alex grinst. Dieses unglaubliche schelmische Grinsen. Gott, ist er süß! - Und nein, das werde ich ihm garantiert NICHT sagen. Welcher Mann will schon gern hören, dass er süß ist? Und naja, eigentlich ist er ja auch mehr...
"Steht das Angebot noch?" wiederholt Alex nun seine Frage von vorhin.
"Angebot?" sehe ich ihn nachdenklich an.
"Dass ich dich nicht nass mache", antwortet er mir.
Oh? Oh! "Aber das hast du doch", erwidere ich und grinse ihn frech an. "Also kein Angebot mehr, nein!" Damit will ich an ihm vorbei gehen. Zurück ins Meer. Zu den anderen beiden.
Doch weit komme ich nicht. Denn schon liegt wieder seine Hand um meine Hüfte und er hebt mich hoch.
"Lass mich runter", bitte ich ihn. "Ich bin doch schon nass. Und schwer..."
"Du? Fliegengewicht", sagt Alex und geht mit mir weiter in Richtung Wasser.
"Keine Angebote mehr", schüttle ich mit dem Kopf. Ich weiß, worauf er hinaus will. Aber meine Sachen sind schon nass. Und der Bikini ist ja zum Schwimmen da.
"Sicher?" bleibt Alex mit mir stehen.
Ich lege meine Hände locker um seinen Hals und sehe ihn an.
"Sicher", nicke ich.
"Schade", meint er. "Ich kenne da so ein kleines Restaurant, da kann man hervorragend essen." Jetzt grinst er.
"So, kann man das", gehe ich auf das Geplänkel ein. "Ich bin gerade satt."
"Aber heute Abend wirst du doch sicher wieder Hunger haben, oder?" sieht er mir in die Augen.
Seine sind nun schon wieder blau. Wie macht er das?
"Ich weiß nicht", zucke ich mit den Schultern. "Könnte schon sein."
"Und du hast schon ein Date für heute, oder?" fragt Alex, obwohl wir beide wissen, dass es nicht so ist.
"Vielleicht kann ich den anderen ja auf einen anderen Abend vertrösten", spiele ich mit Alex´ Haaren im Nacken. Dann sehe ich ihn an. Meine Mundwinkel zucken verräterisch.
"Vielleicht kannst du dem anderen gleich ganz absagen?" feuert Alex zurück.
"Warum das denn?" entgegne ich unschuldig.
"Mmmh", macht Alex nur, dann geht er noch ein paar Schritte weiter ins Wasser hinein.
"Okay", hauche ich, als ich das Wasser an meinem Rücken spüre. "Lass mich jetzt einfach runter."
"Okay was?" hakt er nach.
"Essen, heute Abend", gebe ich mich geschlagen. "Aber du lässt mich jetzt runter."
"Okay", sagt Alex. Und schon stehe ich auf meine Füßen. Im Wasser. Und muss mich an ihm festhalten, denn so schnell habe ich mit dieser Entscheidung nicht gerechnet.
20. Keine Überraschungen "Was treibt ihr zwei eigentlich die ganze Zeit da?" kommt Jackie zu uns. Mit Mike im Schlepptau.
Ich trete ein Stück von Alex zurück. "Nichts", sehe ich sie an.
Doch Jackie grinst einfach nur. "Mike und ich gehen heute Abend essen", erzählt sie dann. "Haben wir gerade beschlossen."
"Mach doch", sagt Alex zu ihr. "Ich habe auch ein Date."
Und damit lässt er uns stehen und stürzt sich in die Wellen. Ich sehe ihm nach. Super. Danke. Dafür, dass ich jetzt die Fragen beantworten kann.
"Ein Date?" Jackie sieht mich nachdenklich an. "Ihr beide?"
"Ähm, wir müssen nicht... Also, wenn du nicht... Ich kann auch absagen...", stottere ich unsicher.
"Nein, auf keinen Fall", sagt Jackie sofort. "Das ist... toll... und neu... Alex ist schon lange nicht mehr wirklich ausgegangen." Sie sieht Mike an. "Seit seiner letzten Freundin... naja, ist schon ne Weile her. Ich freu mich für euch." Sie lächelt mich wieder an.
"Also, dann... okay", nicke ich. Dann habe ich heute Abend ein Date.
Mit Alex.
Der Rest des Tages verläuft ganz ruhig. Ich genieße einfach diese Zeit, Menschen um mich zu haben. Freunde. Jackie und ich ziehen uns nach dem Schwimmen noch ein wenig zurück. Wir sitzen im Schatten einer Palme und reden. Jackie hat noch einige Fragen. Wegen meiner Vergangenheit. Und ich antworte ihr. So gut ich eben kann.
"Der Typ gehört weggesperrt", sagt Jackie irgendwann. "Wieso hast du den nicht angezeigt?"
Ich sehe sie an. "Wie denn? Er darf doch gar nicht wissen, wo ich bin."
"Ja, da hast du auch Recht", nickt sie nachdenklich. Dann lächelt sie. "Naja, hier bist du in Sicherheit. Die Jungs passen sicher auf dich auf. Auch wenn ich wieder zu Hause bin."
"Zu Hause?" Erst jetzt fällt mir ein, dass Jackie ja nur zu Besuch bei ihrem Bruder ist.
"Es reicht, wenn einer von uns so weit weg wohnt", sagt Jackie geknickt.
"Wann musst du zurück?" will ich leise wissen.
"Bald", antwortet Jackie nur. "Aber noch bleibe ich eine Weile hier." Sie greift nach meiner Hand.
Stumm lächeln wir uns an.
"Ich komme gleich wieder", sagt Jackie dann und geht zum Haus.
Und so bleibe ich eine Weile allein. Ich ziehe meinen Knie an und sehe aufs Meer. Die Sonne glitzert auf dem Wasser und ich schließe meine Augen. Es ist total ruhig hier. Man hört das Rauschen der Wellen. Den leichten Wind, der in den Blättern säuselt. Und dann Ruhe. Richtige Ruhe. Natürlich ist abends, wenn ich an den Strand gehe und den Sonnenuntergang beobachte auch Ruhe. Aber nicht so. Hier breitet sich die Stille auch in mir aus.
"Hey", höre ich plötzlich jemanden sagen und sehe auf.
"Hey", sage ich und beobachte Alex, als er sich neben mich setzt.
"Alles okay?" fragt er.
Ich nicke. "Wo ist Jackie?"
"Duschen", antwortet er. "Sie will sich für ihr Date mit Mike schick machen."
Ich nicke. Ja, inzwischen ist auch schon später Nachmittag.
"Vielleicht sollte ich auch nach Hause fahren", überlege ich. Immerhin werde ja auch ich heute Abend ein Date haben.
"Musst du nicht", sagt Alex zu mir.
"Wieso?" sehe ich ihn fragend an.
"Lass dich einfach überraschen", zwinkert er mir zu.
"Ich mag keine Überraschungen", sehe ich Alex ernst an. Nein, wirklich nicht mehr. Die letzte Überraschung hat mich drei Jahre meines Lebens gekostet. Und ein ewiges Versteckspiel.
Alex sieht mich stumm an.
"Jackie hat gerade mit mir geredet", sagt er dann.
Ich nicke, weiche seinem Blick aus und sehe aufs Wasser. Naja, sie hat gefragt, ob sie es ihm erzählen darf. Aber so schnell... Ich hätte gern noch ein wenig Zeit gehabt, um mich darauf einzustellen. Dass es noch jemand weiß.
"Keine Sorge, Mike erzählen wir nichts", höre ich Alex sagen. "Ich glaube, es reicht, wenn es nur Jackie und ich wissen. Und ich verspreche dir, von uns erfährt keiner etwas."
Ich sehe ihn kurz an und nicke. "Danke", sage ich leise.
Alex lächelt kurz.
"Also keine Überraschungen?" will er dann wissen.
"Ich glaube, lieber nicht", wiederhole ich.
"Dann muss ich dir jetzt erzählen, was ich geplant habe?" Alex legt seine Hand unter mein Kinn und so bin ich gezwungen ihn anzusehen.
"Vielleicht", sage ich nur.
"Also gut", nickt Alex und lässt mich los. "Ich dachte mir, dass wir vielleicht hier zu Abend essen."
"Hier?" Wie meint er das?
"Naja, Jackie und Mike gehen aus", redet Alex weiter. "Ich dachte da an ein Picknick am Strand. Natürlich liefern die auch aus dem Restaurant, von dem ich dir vorhin vorgeschwärmt habe. Wäre das okay für dich?"
Ein Picknick? Hier? Am Strand? Nur er und ich? Und der Sonnenuntergang?
"Okay", hauche ich und wundere mich, dass überhaupt ein Wort aus meinem Mund kommt.
"Okay", lächelt Alex. "Jetzt hast du die Überraschung kaputt gemacht!" beschwert er sich noch.
"Ich werde so tun, als würde ich davon nichts wissen", lächle ich ihn zaghaft an.
Alex grinst zurück.
21. Die Verrückte vom Flughafen "Ich wünsch euch einen tollen Abend", flüstert Jackie mir ins Ohr, bevor sie mit Mike das Haus verlässt. Ich ziehe eine Grimasse, die sie nur mit einem Lachen quittiert. Dann geht sie nach draußen und steigt zu Mike ins Auto. Und ich schließe die Tür.
"Alex?" rufe ich. Doch es kommt keine Antwort.
Langsam gehe ich durch das Haus und dann auf die Terrasse.
"Da bist du ja", kommt er mir entgegen. "Genau im richtigen Moment."
Ich bleibe stehen und sehe ihn fragend an. Was für ein richtiger Moment?
Alex nimmt meine Hand und zieht mich mit sich. Und dann sehe ich es.
Ich bin völlig überwältig. Alex hat wirklich ein Picknick gemacht. Da liegt eine Decke am Strand. Unter der Palme, unter der ich schon den ganzen Tag gesessen habe. Darauf hat er eingedeckt, verschiedene Speisen stehen in kleinen Schüsseln da.
"Gefällt es dir?" fragt er - und seine Stimme klingt leicht unsicher. Wieso das denn?
"Es ist toll", sehe ich ihn lächelnd an.
"Wirklich?" hakt er nach.
"Ja, wirklich", nicke ich - und umarme ihn spontan.
Doch zu schnell stelle ich fest, dass ich ihm zu nahe bin. Nicht gut. Nein, gar nicht gut. Ich atme tief durch, dann setze ich mich zu ihm auf die Decke.
"Wein?" fragt er und deutet auf die Flasche.
"Nach gestern?" sehe ich ihn vielsagend an.
"Ein halbes Glas?" Alex füllt das Glas bereits ein, bevor ich geantwortet habe.
"Danke", sehe ich ihn an und stelle das Glas neben meinen Teller.
Schweigend nehmen wir uns von dem Essen.
"Erzählst du mir von dir?" bitte ich ihn dann.
"Was willst du wissen?" sieht Alex mich an.
"Ich weiß nicht", zucke ich mit den Schultern. Ich will einfach nur, dass diese unerträgliche Stille aufhört. "Wie lange lebst du schon hier?"
"Ich glaube, es sind schon mehr als fünf Jahre", überlegt er.
"Hast du Heimweh?" Ich schiebe mir etwas Salat in den Mund.
"Manchmal", gibt er zu. "Aber die meiste Zeit bin ich beschäftigt. Mit Arbeit. Da merkt man nicht so, wie einsam man eigentlich ist."
Wir sehen uns an.
Ja, diese Einsamkeit kenne ich auch.
"Und du? Vermisst du nicht dein altes Zuhause? Deine Freunde?" will Alex wissen.
Ich sehe ihn an. Vermisse ich jemanden? Dann schüttle ich mit dem Kopf.
"Der Freund, den ich hatte...", sehe ich aufs Wasser. "Christian ist tot...." Ich mache eine kurze Pause. "Also nein, ich vermisse niemanden."
"Das tut mir leid", sagt Alex. "Was ist passiert?"
Schon allein bei dem Gedanken daran füllen sich meine Augen mit Tränen. Ich versuche sie wegzublinzeln. Aber es gelingt nicht. Sie laufen über meine Wangen.
"Entschuldige", murmelt Alex.
"Nein, schon gut, du kannst nichts dafür", wische ich die Tränen fort. "Christian ist gestorben... als er mich gerettet hat..."
"Oh, Kate", rutscht Alex zu mir heran und nimmt mich in seine Arme.
Ich bin mir nicht sicher, ob mir das hier gerade gut tut. Jemanden zu haben, der mich festhält.
"Emilio hat ihn umgebracht", stoße ich noch hervor. Dann schließe ich meine Augen. Und versuche nicht laut aufzuschluchzen. Und jetzt sehe ich es wieder vor mir. Ihn. Christian. Im Auto. Als er das letzte Mal geatmet hat. Als er mich das letzte Mal angesehen hat.
"Ich bin gleich wieder da", löse ich mich aus Alex´ Umarmung und stehe auf. Schnell laufe ich zurück zum Haus. Ich weiß ja nun, wo das Badezimmer ist. Ich wasche mein Gesicht und versuche meine Gedanken zu ordnen. Mich wieder in den Griff zu bekommen.
Als ich wieder nach draußen gehen will, steht Alex vor der Tür.
"Alles okay?" will er wissen und ich erkenne die Besorgnis in seinem Blick.
"Nein, nichts ist okay", schüttle ich mit dem Kopf. Und dann zwinge ich mich zu einem Lächeln. "Aber es muss ja. Oder?"
"Weißt du was?" sieht Alex mich nachdenklich an. "Vor etwa einem halben Jahr ist mir jemand begegnet. Ich bin gerade von einem Dreh zurück gekommen und hatte Urlaub. Es war am Flughafen. Da ist eine Frau in mich hinein gelaufen. Sie hat ihre Tasche fallen lassen..." Er beobachtet mich, während er spricht. Und ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. "Und dann hat sie mich angesehen und mich gefragt..."
"...ob du sie nicht in einen Vampir verwandeln kannst", beende ich seinen Satz. Natürlich erinnere ich mich an diesen Zusammenstoß. Aber er? Er auch?
"Diese Verrücke am Flughafen..." Alex greift nach meiner Hand. "...das warst du, oder?"
Ich nicke. "Du erinnerst dich daran?" will ich wissen. "Wieso?"
"Ich weiß auch nicht", gibt er zu. "Ich habe viele Fans, die manchmal die Wirklichkeit und die Fantasie nicht auseinander halten können. Aber du... deine Frage... die Bedeutung deiner Frage... Ich verstehe das jetzt."
Ich atme tief ein und aus. "Ich kann gar nicht glauben, dass du dich daran erinnerst", gebe ich zu. "Das war an dem Tag, als ich... weggeflogen bin. Weit weg. Und dann habe ich dich getroffen... Naja, umgerannt." Ich lehne mich an die Wand, bevor ich weiter spreche. "Als ich bei Emilio war... irgendwann durfte ich fernsehen... aber nur bestimmte Sachen... Christian... musste in dieser Zeit bei mir sein... Und... naja, ich habe viele deiner Serien gesehen..." Ich sehe Alex an. "Irgendwie hast du mir die Kraft gegeben durchzuhalten. Ich weiß, es hört sich komisch an..." Ich verknote meine Finger ineinander. "Ich hatte an dem Tag solche Angst, Emilio könnte irgendwo auftauchen. Habe mir gewünscht, ich könnte unsichtbar werden. Und dann warst du da... ich weiß nicht, warum ich dich gefragt habe. Diese Frage. Aber in dem Moment habe ich mir gewünscht, unbesiegbar zu sein. Nicht mehr in Angst leben zu müssen. Einfach frei zu sein..."
Ich sehe Alex an. Ob er mich versteht? Wahrscheinlich nicht. Ich verstehe mich ja manchmal selber kaum. Aber dieser Tag... Ich habe mich jeden Tag an dieses Zusammentreffen erinnert. Immer wenn ich am Strand den Sonnenuntergang beobachtet habe.
"Und dann habe ich Jackie getroffen", rede ich nun einfach weiter. "Bei diesem Nähkurs. Und dann warst da du..." Ja, ich spüre immer noch die Gefühle, als ich ihn zum ersten Mal wieder vor mir gesehen habe. "Ich hätte nie gedacht, dass ich dich noch einmal wieder sehen würde. Nicht so. Nein, überhaupt nicht."
"Dann ist es wohl Schicksal", sieht Alex mich an.
"Schicksal?" Was meint er denn damit?
"Dass wir uns an dem Tag auf dem Flughafen getroffen haben", antwortet Alex und streckt seine Hand aus, um meine Finger zu umfassen. "Und dass Jackie in diesen Kurs gegangen ist. Schicksal eben."
"Ich glaube nicht an das Schicksal", sage ich zu ihm.
Wenn es so etwas wie das Schicksal gab, wieso hat es mich zu Emilio geführt? So etwas sollte niemandem passieren müssen.
"Aber ich", sagt Alex und beugt sich vor.
Sein Gesicht kommt immer näher. Ich stehe wie erstarrt. Bin unfähig mich zu bewegen.
Sein Blick hält meinen gefangen. Alex hat im Moment die blauesten Augen, die ich je gesehen habe. Blau wie das Meer. Unendlichkeit.
Und irgendwie sehe ich da noch mehr. Vertrauen.
Kann ich ihm wirklich vertrauen?
Alex´ Hand streicht über meine Wange und ich halte den Atem an. Nur noch wenige Millimeter trennen uns voneinander. Ich spüre seinen Atem und er sicher meinen auch. Mein Herz rast und ich glaube, meine Knie geben gleich nach.
"Ich glaube an das Schicksal", höre ich Alex noch sagen. Dann schließe ich meine Augen - und spüre seine Lippen auf meinen.
22. Nein, nicht süß Alex´ Lippen sind unglaublich weich. Der Kuss ist... fast wie ein Hauch. Alex fordert nichts. Ich hatte wohl schon fast vergessen, wie sich das anfühlt. So ein echter Kuss.
Ich spüre seine Hand noch immer auf meiner Wange. Ganz zärtlich liegen seine Finger auf meiner Haut. Und er kommt mir nicht näher. Bleibt trotz dieses Kusses auf Distanz. Trotz der Nähe lässt er mir Freiraum. Das ist total ungewohnt. Und fühlt sich sooo gut an.
Und dann zieht sich Alex zurück. Ich lasse noch für einen Moment meine Augen geschlossen, dann zwinkere ich ein paar Mal. Will eigentlich aus dieser Welt gerade nicht aufwachen.
Alex sieht mich lächelnd an. Ich schmiege meine Wange in seine Hand und genieße diese fast unschuldige Zärtlichkeit. Und dieses Kribbeln in meinem Bauch - ich hätte nie gedacht, dass ich das noch einmal fühlen würde.
"Du bist total süß, weißt du das?" sagt Alex leise zu mir.
"Ich?" Ich sehe ihn an.
"Ja, du", nickt er.
"Naja, dann bist du auch süß", lächle ich verträumt.
"Ich?" wiederholt Alex.
"Ja, du", nicke ich nun.
"Ein Mann ist nicht süß", brummt Alex, doch das Lächeln um seine Augen verrät ihn.
"Ist er nicht?" ziehe ich ihn auf. "Was ist ein Mann denn dann?"
"Naja, männlich", überlegt Alex.
"Männlich also, aha", mache ich.
"Muskulös", überlegt Alex weiter.
"Okay, damit kann ich leben", grinse ich und streiche mit den Fingerspitzen über seinen Oberarm.
Doch schnell ziehe ich meine Hand wieder zurück.
"Entschuldige", rutscht es mir heraus.
"Wofür?" fragt Alex nach.
Ich sehe ihn an. Ich weiß ja nicht einmal, ob er es mag. Von mir berührt zu werden.
Wir sehen uns in die Augen.
"Du bist immer noch süß", grinst Alex dann.
"Mmh", mache ich.
"Sexy", murmelt Alex.
"Was ist sexy?" setze ich unser Gespräch von gerade eben fort.
"Ein Mann kann sexy sein", erwidert Alex.
"Aber nicht süß", ziehe ich ihn weiter auf.
"Nein, eigentlich nicht süß", schüttelt er mit dem Kopf.
"Schade", sage ich leise.
"Wieso?" hakt er nach.
"Ich steh auf süße Sachen", grinse ich ihn frech an.
"Naja, vielleicht bin ich dann ja doch süß", lenkt Alex ebenfalls grinsend ein.
"Bist du das?" will ich wissen.
"Das können wir gleich herausfinden", sagt Alex und beugt sich wieder zu mir vor.
"Mmh", mache ich, während sich unsere Lippen finden.
Alex knabbert sanft an meiner Unterlippe und streicht mit seiner Zunge darüber.
"Süß", höre ich ihn murmeln.
"Mmh", mache ich wieder und genieße diese Nähe.
Und dann passiert es. Alex fährt mit seiner Hand durch meine Haare und zieht mich näher zu sich heran. Ich öffne leicht meinen Mund, als er weiter mit der Zunge um Einlass bittet. Unsere Zungen berühren sich. Nur ganz leicht. Doch das allein reicht schon aus. Ich habe das Gefühl, ich stehe von einer Sekunde auf die andere in Flammen. Überall kribbelt es. Als würde jede Zelle meines Körpers brennen.
Wir vertiefen den Kuss. Kann die Welt aufhören sich zu drehen? Kann nicht einfach die Zeit anhalten? In diesem Moment? Können wir für immer in diesem Augenblick verharren? Kann das Schicksal auch einmal meinen Wunsch erfüllen?
Wir lächeln uns an.
"Süß genug?" will Alex atemlos wissen.
Ich kann nur nicken. Denken? Ausgeschlossen. Im Moment jedenfalls.
Alex nimmt meine Hand und wir gehen wieder nach draußen. Die Sonne ist gerade dabei unterzugehen. Ich setze mich auf die Decke und merke, dass Alex sich hinter mich setzt und seine Arme um mich legt. Im ersten Moment ist es völlig ungewohnt. Jemandem so nah zu sein. Ohne... ohne Forderungen. Doch dann lehne ich mich an ihn.
"Das sehe ich mir jeden Abend an", flüstere ich leise.
"Ja, ich mir auch", sagt Alex genauso leise zurück.
Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Ich hätte nie gedacht, dass er so sein würde. So wie ich. Normal. Ja, doch, er ist schon ein ganz normaler Mann. Weder abgehoben. Noch fremd.
Aber habe ich das nicht auch bei Emilio gedacht? Dass er normal sei?
Ich rücke ein Stück von Alex weg. Ich kann nicht sagen warum, aber mir ist diese Nähe gerade zu viel. Wir kennen uns doch gar nicht. Wie also kann ich ihm vertrauen? Ich habe diesen Fehler doch schon einmal begangen. Habe ich denn gar nichts daraus gelernt?
Alex sieht mich an. "Ist alles okay?" will er wissen.
"Ja", nicke ich. "Es ist nur... ich kann nicht... das geht zu schnell..." Ich sehe aufs rot gefärbte Wasser und schüttle mit dem Kopf. Nein, ich kann wirklich nicht. Und ich sollte auch nicht. So schön der Kuss und seine Nähe auch sind - noch einmal? Ich würde es nicht überleben wollen.
"Danke für den Abend", sage ich dann. "Ich glaube, es wird Zeit..." Die Sonne taucht gerade vollständig in das Meer ein.
"Ich bring dich nach Hause", bietet Alex mir an.
Ich nicke und stehe auf. Gemeinsam räumen wir alles zusammen und dann gehen wir zu Alex´ Auto. Ich weiß nicht, was ich sagen kann... oder sagen soll... also schweigen wir uns an.
Zu gern würde ich wissen, woran er denkt. Aber meine Gedanken und Gefühle fahren gerade Achterbahn. Und bevor ich selbst nicht weiß, was ich will oder vielleicht auch nicht - vorher kann ich auch mit den Gefühlen anderer nicht umgehen.
23. In zwei Welten Ich höre drei Tage weder etwas von Alex noch von Jackie. Ja, ich weiß, dass sie in die Berge wollten. Aber ich schiebe es auf diesen Abend. Den ich mit Alex verbracht habe. Als wir uns geküsst haben. Der Heimweg ist total schweigsam verlaufen. Und als er vor meiner Wohnung gehalten hat, bin ich schon fast fluchtartig aus dem Auto gesprungen.
"Danke für den Abend", habe ich noch gesagt. Und ihm nicht einmal die Chance gelassen zu antworten. Ich hatte schon meinen Schlüssel in der Hand und bin sofort in meine Wohnung geflüchtet. Habe die Tür hinter mir abgeschlossen - alle Schlösser schnell zugemacht. Und dann habe ich in der Dunkelheit gestanden. Und die heißen Tränen auf meinen Wangen gespürt. Wieso habe ich es nur zugelassen? Dass mir jemand so nahe kommt? Dass ER mir so nahe kommt?
Langsam bin ich zum Fenster gegangen und habe hinaus gesehen. Doch die Straße war leer. Und Alex war fort.
Und das ist er noch immer.
Es ist Dienstagabend. Morgen noch, dann habe ich meine zwei freien Tage. Heute Morgen war ich bei Maja gewesen. Habe mich für diese Woche von ihrem Nährkurs abgemeldet. Einerseits weil ich keine Lust habe unter Menschen zu sein. Und andererseits, weil ich weder Jackie noch Alex begegnen möchte. Denn ich bin mir sicher: wenn sie da sein wird, werde ich ihn auch sehen.
Ich vermisse Jackie. Sie, die mein Geheimnis kennt. Nein, ich bereue es nicht, dass ich ihr davon erzählt habe. Aber diese ganze Situation... ach, es ist einfach alles total verfahren. Ich hätte sie nicht kennenlernen sollen. Und Alex nicht wiedersehen - nach dem Flughafen.
Aber es ist nun einmal passiert. Und irgendwie werde ich damit schon leben können. Ich will gerade aus der Wohnung an den Strand gehen, um den Sonnenuntergang zu genießen, als es plötzlich an der Tür klingelt.
Wer kann das denn jetzt sein? Zögernd greife ich nach dem Hörer der Sprechanlage.
"Hallo?" frage ich.
"Hey, Kate", erkenne ich Jackies Stimme sofort. "Kann ich kurz rein?"
"Ich wollte gerade weg", sage ich ausweichend.
"Ich warte hier unten", sagt sie.
Seufzend lege ich den Hörer zurück und schlüpfe in meine Schuhe. Dann nehme ich den Schlüssel und gehe nach unten.
Jackie umarmt mich sofort zur Begrüßung und ich sehe mich kurz um.
"Du bist allein?" frage ich sie.
"Ja", nickt Jackie. "Hast du kurz Zeit für mich?"
"Ich wollte an den Strand", sage ich zu ihr. "Wenn du willst, kannst du mitkommen."
Jackie nickt und läuft schweigend neben mir her. Als wir ankommen, nehme ich meine Schuhe in die Hand und laufe auf dem Sand weiter. Jackie tut es mir gleich. Irgendwann bleibe ich stehen und sehe sie an.
"Was ist los?" will ich wissen.
Jackie sieht mich an. "Du weißt ja, dass wir in den Bergen waren", beginnt sie. Ich nicke, und sie fährt fort: "Es war toll. Wir sind noch einen Tag länger geblieben. Deshalb konnte ich mich auch erst heute bei dir melden."
"Ist doch okay", sage ich nur.
"Mike hat mir einen Antrag gemacht", platzt sie nun mit der Neuigkeit heraus.
"Einen Antrag?" habe ich sie hoffentlich richtig verstanden.
"Ja, er will mich heiraten", lässt sich Jackie in den Sand fallen.
Ich setze mich neben sie. "Aber das ist doch... toll... oder nicht?"
"Sicher, ja", sagt Jackie und sieht aufs Meer.
"Aber du liebst ihn doch, oder?" hake ich nach.
"Ja", antwortet sie einsilbig.
"Aber? Was hast du geantwortet?" Irgendwie scheint sie nicht glücklich zu sein.
"Noch gar nichts", sieht Jackie mich an. "Ich meine, es kann doch gar nicht funktionieren. Oder? Sein Leben ist hier. Und meins ist in Australien. Ich komme gern zu Besuch hierher, ja. Aber ich möchte hier nicht leben. Nicht für immer. Und... und..." Sie atmet tief durch. "Ich weiß nicht, was ich machen soll. Mit Alex konnte ich auch nicht reden. Der ist die ganze Zeit total durch den Wind. Seit ihr zwei... Was ist an dem Abend eigentlich passiert? Er redet nicht darüber..." Sie sieht mich neugierig an.
"Nichts ist passiert", weiche ich ihrem Blick aus. Ich möchte jetzt nicht über mich reden. Oder über mich und Alex. Da gibt es nämlich nichts zu sagen.
"Vielleicht würde Mike mit dir mitgehen", wechsle ich das Thema wieder auf ihr Problem zurück. "Hast du ihn schon gefragt?"
Jackie schüttelt mit dem Kopf. "Kennst du das, wenn man das Gefühl hat in zwei verschiedenen Welten zu leben? Das Herz schreit ja, aber der Verstand weiß es besser. So fühle ich mich gerade. Ich liebe Mike, aber ich weiß, dass ich in seiner Welt nicht leben kann."
"Aber vielleicht kann er es in deiner", sehe ich Jackie an. Ja, das Gefühl kenne ich. Aber weil ich einsam bleiben werde, heißt es ja nicht, dass sie es auch muss. "Rede doch einfach mit ihm."
Jackie nickt. Zögernd, aber sie nickt. "Du kommst morgen doch mit in die Berge, oder?" sieht sie mich jetzt an.
"Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist", schüttle ich mit dem Kopf.
"Doch, finde ich schon", widerspricht mir Jackie. "Ich brauche eine Freundin dabei, wenn ich mit Mike reden werde. Und vielleicht könnten mein Bruder und du... ihr solltet auch reden... über das, was da NICHT passiert ist..."
"Jackie, diese zwei Welten", sehe ich nun auf das inzwischen rot gefärbte Wasser, "die gibt es nicht nur bei dir und Mike. Aber ihr zwei könnt sie überwinden. Das geht nicht immer..."
"Du hast dich verliebt, oder?" lächelt Jackie mich an, doch ich weiche ihrem Blick aus.
"Ich denke nicht", sage ich ganz leise.
"Aber ich denke schon", lächelt sie weiter.
Ich sage nichts mehr und sehe zu den Wellen, die ans Ufer kommen.
"Also, ich fände es total cool, wenn du und Alex... Wir könnten doch eine Doppelhochzeit feiern!" grinst sie dann.
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